Alles Frisch bei der Familie Softail – Harleys Softails 2018


17.11.2017 | Text: Heinrich Christmann | Bilder: Harley-Davidson

Quelle: DREAM-MACHINES 6/17.

Mit freundlicher Genehmigung



Zunächst zu den Gemeinsamkeiten der neuen Softails: Alle werden von einem nochmals modifizierten Milwaukee-Eight-Motor angetrieben. In dem Vierventiler der Softails rotieren, im Gegensatz zum ähnlichen Motor in den Touring-Modellen, zwei Ausgleichswellen statt einer. Das hat man gemacht, um den Motor der Softails, wie schon bei den Vorgängermodellen, fest mit dem Rahmen verschrauben zu können. Das bringt zusätzliche Stabilität ins Fahrwerk. Neu ist: Vier der acht Modelle kann man beim freundlichen Harley-Händler statt mit den stets als Basismotorisierung erhältlichen 107 Kubik-Inches (entspricht 1745 ccm) auch mit dem etwas stärkeren 114-Kubik-Inches-Motor, also mit 1868 ccm Hubraum, ordern. Der Basismotor leistet laut Hersteller 87 PS und drückt 145 Nm Drehmoment, beim größeren 114er-Motor gibt Harley 94 PS und 155 Nm Drehmoment an. Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Company die Hubraumvergrößerung nicht, wie man annehmen würde, ausschließlich über die Bohrung verwirklicht. Nein, die 114er-Motoren haben neben zwei Millimetern mehr Bohrung auch einen drei Millimeter längeren Hub. Die Motorenleute in Milwaukee haben also einen ziemlichen Aufwand betrieben. Erwähnenswert ist das deshalb, weil das den großen Motor noch langhubiger macht, als er ohnehin schon ist. Ein Umstand, der sich zwar ein klein wenig nachteilig auf die Drehfreude auswirkt, allerdings durch den kräftigeren Punch wieder locker ausgeglichen wird. Insgesamt gefällt uns der sehr ausgewogene und mit einer fulminanten Elastizität ausgestattete 107er-Basismotor auch schon sehr gut, aber bekanntlich ist Hubraum durch nichts zu ersetzen (außer durch noch mehr Hubraum), deshalb bekommt der 114er einen erhobenen Daumen mehr von uns.



Fahrwerk mit Monofederbein

Zum Thema Fahrwerke: Die neuen Softails verfügen zwar alle grundsätzlich über die gleiche Fahrwerkskonstruktion, jedoch gibt es kleine wichtige Unterschiede. Je nach Modell gibt es verschiedene Lenkkopf- und/oder Gabelwinkel und wegen der unterschiedlichen Reifen am Heck gibt es variierende Heckteile beziehungsweise schmalere oder breitere Schwingen. Allen gemeinsam allerdings ist das leicht schräg nach oben weisende, knapp unter der Sitzbank montierte Monofederbein. Alle haben neue Tanks, neue Gabelinnereien und neue LED-Lampen. Alle neuen Softails sind leichter und stärker als ihre Vorgänger, und alle warten jetzt – endlich! – mit einer sehr vernünftigen, brauchbaren Schräglagenfreiheit auf; das ewige Gekratze bei den Modellen mit Trittbrettern ist passé.



Und weil heutige Biker – wie alle anderen Menschen auch – offenbar dauererreichbar sein müssen, sind alle neuen Softails mit einem gut zugänglichen USB-Anschluss hinterm Lenkkopf ausgestattet … schöne neue Welt!


Was sich nicht geändert hat im Vergleich zu den Vorgängermodellen, ist die Tatsache, dass jedes neue Softail-Modell sich völlig anders fährt als seine „Geschwister“. Von den vier Modellen, die wir fahren konnten, hatte jedes seinen eigenen Nachlaufwert, bei nur zweien glich sich der Wert des Lenkkopfwinkels. Jedes der vier Modelle besitzt verschiedene Fahrersitzhöhen, verschiedene Leergewichte und jedes hat einen anderen Radstand. Von den jeweils völlig verschiedenen Rad- und Reifengrößen ganz zu schweigen. Langeweile kommt also nicht auf.



Street Bob: (Fast) alles beim alten

Hier nun unsere ersten Fahreindrücke: Die neue Street Bob, die vormals eine Dyna war, kommt irgendwie abgespeckter daher. Das Motorrad wirkt viel zierlicher als sein Vorgänger, tatsächlich trägt es einen um 5,5 Liter kleineren Tank und wiegt auch zehn Kilogramm weniger. Der Nachlauf wurde unverständlicherweise um satte 38 Millimeter auf beachtliche 157 Millimeter verlängert, was quickem Handling nicht gerade förderlich ist. Um das auszugleichen, läuft die neue Street Bob auf Softail-Basis jetzt mit einem schmaleren Hinterradreifen (150 statt vormals 160 Millimeter). Die Fahreindrücke zwischen Alt und Neu sind deshalb ähnlich bis gleich. Die Street Bob macht nach wie vor problemlos das, was der Fahrer will, lediglich der vordere 19-Zöller wünscht sich wie gehabt in sehr schnell aufeinanderfolgenden Wechselkurven einen Hauch Input vom Fahrer. Das ist aber kaum der Rede wert, auch der neue Straßen-Robert, jetzt mit Dreiecksschwinge und verstecktem Monofederbein, ist ein sehr leichtfüßiges Motorrad geworden. Der erstarkte Vierventilmotor hat mit der mit 297 Kilo leichtesten Big-Twin-Harley keinerlei Probleme, ab Standgasdrehzahl steht satter Druck bereit. Die halb mittige Fußrastenposition ist zwar, wie schon beim Vorgänger, ein bisschen halbgar, nach 30 Kilometern hat man sich daran aber gewöhnt. Äußerst positiv ist, dass man jetzt schon ganz schön die Sau rauslassen muss, um die neue Street Bob auf die Rasten zu zwingen. Unter den hier betrachteten Modellen wird sie Vize-Meisterin in Handling und täglichem Umgang.



Fat Bob: Optik versus Handling

Die neue Fat Bob, vom Namen her ebenfalls eine der Überlebenden der Dyna-Familie, ist das ohne Zweifel radikalste neue Modell innerhalb der erweiterten Softail-Familie. Von der Optik her ein Hooligan-Motorrad, rotzig, aggressiv, frech, erinnert sie etwas an die frühe V-Max von Yamaha. Sie hat einen kürzeren Radstand als die alte und wiegt 15 Kilo weniger. Bei der ersten Sitzprobe gibt es einen Aha-Effekt: Man sitzt außerordentlich kompakt und ist unglaublich gut ins Motorrad integriert. Wir fuhren die Neue in der 114-cui-Variante, also mit dem kräftigeren Motor. Trotzdem hat uns die alte im Geläuf besser geschmeckt! Der Grund: Irgendwer in der Entwicklungsabteilung in Milwaukee spielt offenbar gerne das Wörtchen-wechsel-dich-Spiel und verpasste der neuen Fat Bob nach dem Motto „Function Follows Form“ ein fettes rundes 150er-Vorderrad im 16-Zoll-Ballonformat. Und genau dieser Gummi-Batzen will nicht ins Eck – wieso auch! Mit dem vormaligen 130er im gemäßigten 90er-Niederquerschnitt fiel das Ding wie von selbst in die Kurven. Warum bloß hat man der Optik wegen beim neuen Modell das Fahrverhalten verschlechtert. Alles andere ist nämlich besser geworden. Schräglagenfreiheit, Upside-down-Gabel, Doppelscheibenbremse, alles fein. Bloß diese komplett unpassende Vorderradpusche passt nicht ins Bild. Fakt ist: Die neue Fat Bob ist ein charismatisches Motorrad, aber was das Fahrverhalten und das unwillige Handling angeht, landet sie in diesem Vierervergleich dank ihres unharmonisch einlenkenden Protz-Vorderradreifens nur auf Platz 3.



Breakout: Störrisches Biest

Aber es geht bei Weitem noch störrischer: Harley hat es tatsächlich geschafft, die Kurvenverweigerungsgeometrie der alten Breakout fast eins zu eins in das neue Modell hinüber zu transferieren. Schon beim vorab unternommenen Abgleich der Daten schwante uns Böses. Exakt die gleichen Rad- und Reifengrößen wie bei der alten fanden ihren Weg an die neue Breakout. Auch der Lenkkopf- und Gabelwinkel und der Nachlaufwert sind annähernd identisch. Wieso also sollte die neue Breakout nicht die gleichen Malaisen aufweisen wie zuvor? Und genau das tut sie. Einlenken wollen … Fehlanzeige. In jede verdammte Kurve will dieses Gerät reingezwungen werden wie ein störrisches Huftier und die Schräglage muss auf jedem Zentimeter Fahrweg vom Fahrer aktiv nachgedrückt und gehalten werden. Zudem kämpft der Fahrer in jeder Kurve mit dem starken Eigenlenkverhalten des 21-Zöllers vorn, der stets ans Kurvenäußere drängt. Aber wir hoffen auf Abhilfe: Wir haben mittels Umbereifung auf einen anderen Hersteller bereits erfolgreich die Vorgängerin zur Räson gebracht, das werden wir demnächst auch mit der neuen ausprobieren. Ganz klarer letzter Platz in diesem Fahrbericht für die neue Breakout.



Heritage Classic: Bestens fahrbar

Dann war da noch die neue Heritage Classic, eigentlich so ein bisschen die graue Maus, harmlos halt, brav und retro, eine, die auf unauffällig macht, es inzwischen aber faustdick hinter den mit Kunstleder bezogenen Hartschalen-Packtaschen hat. Wir fuhren sie im 114-cui-Trimm und siehe da: Sie war die mit Abstand am besten fahrbare Harley in diesem Vergleich. 17 Kilo leichter als bisher, profitiert dieser Evergreen am meisten von der Neukonstruktion. Der Radstand ist kürzer, die Sitzhöhe niedriger als beim Vorgänger und die moderat gewählten Reifenbreiten und die deutlich gesteigerte Schräglagenfreiheit tun dem Old-School-Schlachtross unendlich gut. Selbst herzhaftes Angasen ist jetzt mit reichlich Spaß verbunden. In Dunkelgrün, mit dem teilgeschwärzten Windschild und den schwarzen Rädern sieht die Heritage jetzt ein wenig aus wie eine WLA, die man für die Jetztzeit fit gemacht hat. In Sachen Handling und Fahrspaß landet die neue Heritage Classic klar auf Platz 1 dieses Vergleichs



Fazit

Bei aller genannten Kritik bleibt festzuhalten: Alle neuen Softails profitieren von der umfassenden Produktentwicklung. Die neuen Motoren stechen den Twin Cam in allen Belangen aus, die Federung verdient jetzt ihren Namen und an den Bremse wurden ganz offensichtlich auch versteckt Entwicklungsarbeit geleistet. Wenn da bloß bei dem ein oder anderen Modell diese elend unpassende Bereiferei der Optik wegen nicht wäre. Aber wäre ja schlimm, wenn eine Harley vom Band schon perfekt wäre. Obwohl, die jetzt regelrecht famose Heritage Classic kommt dem schon recht nahe.